Parlamentarischer Abend BAG BBW fordert mehr Teilhabe für entkoppelte Jugendliche
Wie kann mehr jungen Menschen mit Teilhabeeinschränkungen die Ausbildung in einem Berufsbildungswerk ermöglicht werden? Um diese Frage mit Politiker*innen und Verbandsvertreter*innen zu diskutieren, hatte die BAG BBW am 20.9.2023 zu einem Parlamentarischen Abend in Berlin geladen.
„Mitnehmen statt abhängen – Ausbildungschancen für entkoppelte Jugendliche verbessern!“ – so lautete das Motto des Parlamentarischen Abends. Über 70 Gäste waren in die Landesvertretung Rheinland-Pfalz gekommen, um sich über die Forderungen der BAG BBW zu informieren und dazu auszutauschen.
Nach der Begrüßung durch den Vorsitzenden der BAG BBW Tobias Schmidt hielt Takis Mehmet Ali, Beauftragter für die Belange von Menschen mit Behinderungen der SPD-Bundestagsfraktion, ein Impulsvortrag. Er lobte die Innovationskraft der Berufsbildungswerke und machte deutlich, dass er die Forderung nach besseren Zugängen in BBW für entkoppelte Jugendliche unterstütze. „Wir dürfen die Potentiale von Menschen mit besonderen Unterstützungsbedarfen nicht länger ungenutzt lassen. Im Gegenteil: Wir müssen diese Menschen stärken, fördern und in die Lage versetzen Ihre Fähigkeiten gewinnbringend für sich und die Gesellschaft einzubringen“, so Mehmet Ali.
Lobende Worte für die Arbeit der Berufsbildungswerke fand auch Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Er verwies in diesem Zusammenhang auf Artikel 24 und 27 der UN-Behindertenrechtskonvention und die Verpflichtung Deutschlands, ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen sowie Teilhabe am Arbeitsleben zu gewährleisten. „Dabei spielen die Berufsbildungswerke eine ganz zentrale und wichtige Rolle“, betonte Dusel. Es sei wichtig, dass es Berufsbildungswerke gibt. „Ich kenne viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer, denen Berufsbildungswerke Türen geöffnet haben – ins Leben und in den Arbeitsmarkt“, so Dusel weiter.
Im Anschluss führte Moderatorin Inka Kielhorn, Leiterin des BBW Timmendorfer Strand, in das Thema des Abends ein. Sie verwies auf die steigende Zahl von sogenannten entkoppelten Jugendlichen, die multiple problematischen Lebenslagen haben und aus sämtlichen institutionellen Kontexten herausfallen. Aus Sicht der Berufsbildungswerke müsse es ein wichtiges gesellschaftliches und politisches Anliegen sein, diese Jugendliche viel stärker in den Fokus zu rücken. Gleichzeitig machte sie deutlich, warum sich die Berufsbildungswerke für diese Jugendlichen stark machen: „Weil sie uns wichtig sind, weil sie uns immer wieder in unterschiedlichen Modellprojekten begegnen und sie noch viel mehr Aufmerksamkeit brauchen“, so Kielhorn.
Im anschließenden Dialog waren sich Tobias Schmidt und Michaela Engelmeier, Vorsitzende des Vorstands Sozialverband Deutschland (SoVD), einig, dass die vielen Jugendlichen, die jährlich durch alle Raster fallen, eine Lobby und individuelle Förderung brauchen. „Angesicht des sich verschärfenden Arbeitskräftemangels kann es sich die Gesellschaft nicht leisten, dass diese menschlichen Potentiale verloren gehen“, so Schmidt. Die vorhanden Strukturen sollten deshalb besser genutzt werden. „Wir müssen verhindern, dass hier eine Gruppe weiter wächst, um die sich niemand kümmert und die vergessen wird. Deshalb müssen Politik und Bundesagentur für Arbeit bei Lösungsmaßnahmen immer auch die Berufsbildungswerke und ihre Angebote mitdenken. Dort sind nicht nur die Regelklientel, sondern auch entkoppelte Jugendliche gut aufgehoben“, ergänzte Engelmeier. Sie kennt die Arbeit der Berufsbildungswerke gut, da der SoVD Träger der BBW in Stendal und Bremen ist.
Dass Berufsbildungswerke bereits Erfahrungen mit unversorgten Jugendlichen haben und Lebensläufe verändern können, wurde bei der Vorstellung des Projekts JAWoLL deutlich. Es wird seit Mitte 2017 vom BBW Worms im Auftrag des Jobcenters Worms durchgeführt. Die Teilnehmenden können die Bereiche Kreativ, Holz-, Metall und Hauswirtschaft erproben und werden parallel durch das Fachpersonal ganz individuell unterstützt. Profitiert davon hat auch Jasmin Tomm. Offen und ehrlich schilderte sie ihre individuellen Probleme, psychischen Talfahrten und wie sie Dank des Projekts und der individuellen Betreuung und Beratung durch Sozialpädagogen, Coaches und Psychologen wieder Stabilität und einen Plan vom Leben bekommen hat. „Durch JAWoLL hatte ich die Möglichkeit, in verschiedene Berufsfelder reinzuschnuppern, individuelle Stärken zu erkennen und den Tag sinnvoll zu strukturieren. Jetzt bin ich in der Ausbildung zur Sozialassistenz. Danach möchte ich das Fachabitur machen und soziale Arbeit studieren. Als Sozialpädagogin würde ich später gern selbst in einem BBW arbeiten,“ fasst Jasmin Tomm ihren Weg und ihre beruflichen Ziele zusammen.
Markus Holzmann, stellvertretender Geschäftsführer im Jobcenter Worms und Leiter des Projekt JAWoLL, umtreibt die Sorge, dass das Projekt aufgrund fehlender finanzieller Mittel nicht verlängert wird. „Die Erfolge unseres Projekts sprechen für sich und ich hoffe, dass es weiter geht. Mit so einem Projekt kann man an vielen Orten etwas bewegen“, so Holzmann.
Die Frage, wie mehr jungen Menschen mit Teilhabeeinschränkungen die Ausbildung in einem BBW ermöglicht werden kann, diskutierten zum Abschluss auch Daniel Terzenbach, Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, und Tobias Schmidt.
„Wichtig ist, dass wir aus dem Projektcharakter rauskommen und die vorhandenen Strukturen der BBW im Regelangebot auch für entkoppelte Jugendliche genutzt werden. Bisher haben nur Jugendliche mit einem Reha-Status Zugang zu beruflichen Reha-Maßnahmen in den BBW“, so Schmidt.
Daniel Terzenbach setzt bei der Förderung unversorgter Jugendlicher auf die vor kurzem auf den Weg gebrachten Instrumente „16h“ und „16k“ im SGB II und damit insbesondere auch auf den Ansatz der aufsuchenden Sozialarbeit durch Jugendberufsagenturen und Jobcenter.
Ein Videozusammenschnitt des Parlamentarischen Abends finden Sie hier
Bildergalerie
Bildnachweis
Für die Fotos in der Bildergalerie: © BAG BBW | Lars Hübner (Fotograf)