Fachgespräch im Bundestag Weg vom Abstellgleis zurück auf die Schiene!
Wie die Berufsbildungswerke jungen Menschen mit vielfältigen Teilhabeeinschränkungen aber ohne Reha-Status auf ihrem Weg hin zu einer selbständigen Lebensführung helfen können, war am 10. April 2019 Thema eines fraktionsübergreifenden Fachgesprächs im Deutschen Bundestag. Abgeordnete von CDU/CSU, SPD und FDP diskutierten gemeinsam mit weiteren Experten über mögliche Wege, junge Menschen mit vielfältigen Problemlagen nachhaltig in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Trotz einer guten Wirtschaftslage und einem zunehmenden Fachkräftemangel verpasst eine wachsende Gruppe von Jugendlichen den Zugang zu Ausbildung und Arbeitsmarkt. Um diese „entkoppelten“ jungen Menschen zwischen 18 und 25, die den Anschluss an Regelsysteme schon in jungen Jahren verloren haben, ging es am 10. April im Deutschen Bundestag. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatte zu einem fraktionsübergreifenden Fachgespräch unter Beteiligung von Experten der BAG BBW, der Bundesagentur für Arbeit, dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales sowie von der Don-Bosco-Einrichtung „Manege“ in Berlin eingeladen.
Nach einer Begrüßung durch Peter Weiß, den Sprecher für Arbeit und Soziales der der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, stellte Tobias Schmidt, Vorsitzender der BAG BBW, das Angebot für ein Modellvorhaben vor, mit dem junge Menschen nachhaltig und erfolgreich qualifiziert und ausgebildet werden können. „Viele dieser jungen Leute haben Gewalterfahrungen, leiden unter sozialer Verwahrlosung, sind obdachlos oder haben Suchterkrankungen. Alle haben eins gemeinsam: ihnen fehlt der Reha-Status, um in Berufsbildungswerken anzukommen. Aus vergangenen Projekten wissen wir, dass diese Einrichtungen auch für diese besondere Zielgruppe das geeignete Umfeld ermöglichen, um den Weg zurück in die Gesellschaft zu finden.“
Andreas Stahl, Gesamtleiter des BBW Essen und Mechtild Ronge, Leiterin des BBW Dortmund, berichteten von den Erfahrungen in NRW mit dem Projekt „Chance Zukunft“, über das junge Menschen im SGB II-Bezug durch niedrigschwellige, individuelle Begleitung für Schule, Ausbildung oder Arbeit zurückgeholt werden konnten. Andreas Stahl zeichnete ein eindrückliches Bild: „So ein junger Mensch ist manchmal wie ein abgestellter Waggon auf dem Nebengleis. Wenn man sich nicht drum kümmert, kommt der nie wieder auf die Schiene. Aber die BBW in NRW haben es geschafft, viele Waggons wieder flott zu machen.“ Mechtild Ronge betonte: „Ein wichtiger Erfolgsfaktor war, dass das Ganze auf Freiwilligkeit beruhte. Es gab keine angedrohten Sanktionen, keinen Zwang. So lässt sich Vertrauen aufbauen. Das ist mehr, als die üblichen Standardmaßnahmen bieten und somit bei dieser Zielgruppe versagen.“
MdB Uwe Schummer, Vorsitzender der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, stellte fest: „Es muss um die Menschen gehen. Was wir brauchen, sind mehr Freiräume jenseits der Paragraphen.“ Vor allem kleine und mittlere Betriebe sind vielfach mit Auszubildenden, die „schwierig“ sind, überfordert. Hier brauche es Unterstützungsstrukturen, die Leistungen aus einer Hand bringen, insbesondere psycho-soziale Stabilisierung und berufliche Orientierung miteinander zu verzahnen. MdB Matthias Bartke (SPD), Vorsitzender des Ausschusses für Arbeit und Soziales, berichtete von den Erfahrungen aus Hamburg mit der „fürsorglichen Belagerung“ von jungen Menschen. Dies sei ein erfolgreiches Konzept zur Aktivierung von schwer erreichbaren jungen Erwachsenen. Martina Musati, operative Geschäftsführerin der Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit, stimmte dem gesagten zu, ergänzte aber: „Der Instrumentenkasten der Sozialgesetzbücher ist schon sehr breit. Wir müssen bestehende Instrumente nur richtig kombinieren.“
Michael Breitsameter, Leiter der Abteilung „Berufliche Bildung und Integration“ der Katholischen Jugendfürsorge Augsburg, gab zu bedenken, dass herkömmliche Rezepte der Arbeitsmarktpolitik angesichts der jüngsten Zahlen nicht ausreichen: „Wenn man sich den Berufsbildungsbericht anschaut, muss es uns nachdenklich stimmen, dass trotz der guten Situation am Arbeitsmarkt eine steigende Zahl der jungen Erwachsenen ohne Berufsabschluss bleibt. Wir müssen da dringend gegensteuern.“
Tobias Schmidt betonte, dass das vorgeschlagene Projekt über eine Laufzeit von 5 Jahren als rechtskreisübergreifendes Angebot zur sozialen Stabilisierung und beruflichen Qualifizierung gedacht ist und damit genau die Lücke fülle, die aus der Praxis ersichtlich sei. Jetzt sei bei der Umsetzung politischer Wille gefragt. Bereits im Koalitionsvertrag stehe, dass die Gruppe der schwer zu erreichenden Jugendlichen auch in dieser Legislaturperiode im Fokus stehen soll.
Alle Partner vereinbarten, auf Basis des Fachgesprächs Handlungsempfehlungen abzuleiten, die durch die Politik an die Bundesagentur für Arbeit herangetragen werden sollen, um „entkoppelten“ jungen Menschen die notwendige Unterstützung beim Weg zurück in ein selbständiges Leben zukommen zu lassen.