BMW und BBW bilden aus „Die Schule war schwierig, die Praxis ist meine Stärke“
Gut 1000 nagelneue Fahrzeuge verlassen jeden Tag das BMW Group-Werk Leipzig. Seit 2014 sind daran auch Auszubildende mit Hörbeeinträchtigungen des BBW Leipzig beteiligt. Sie werden in verschiedenen Berufen im Produktionsgewerbe als Fachpraktiker oder im Vollberuf ausgebildet. Darüber hinaus ist fortlaufend eine ganze Gruppe von Azubis des Berufsbildungswerks im Rahmen der Verzahnten Ausbildung im BMW-Werk. Dieses Kooperationsmodell schaute sich am 6. März 2019 Claudia Reif, Bereichsleiterin für Rehabilitation in der Zentrale der Bundesagentur für Arbeit (BA) in Nürnberg, gemeinsam mit dem Vorsitzenden der BAG Berufsbildungswerke, Tobias Schmidt, vor Ort an. Im Gespräch mit Ausbildern und Auszubildenden ging es um die Chancen und Herausforderungen, Jugendliche mit Behinderungen so betrieblich wie möglich auszubilden.
„Es läuft super“, lacht Gillian Wacht. Sie ist bereits im zweiten Ausbildungsjahr zur Fertigungsmechanikerin bei BMW und von Geburt mit der Deutschen Gebärdensprache als Muttersprache aufgewachsen. Für sie war nach der Schule schnell klar: Eine außerbetriebliche Ausbildung in einem Berufsbildungswerk kommt für sie nicht in Frage. BMW war ihr Ziel – heute ist sie eine von rund 5300 Mitarbeitern, darunter 13 Prozent Frauen. „Mir macht es nichts aus, fast nur mit Männern zu arbeiten. Keiner macht einen Unterschied.“
An der Seite von Gillian Wacht und ihrem Ausbildungschef Jörg Keller steht das Berufsbildungswerk Leipzig. „Das macht für uns vor allem die Kommunikation mit den Behörden sehr viel einfacher“, berichtet Keller. Auch Personalchef Dirk Wottgen räumt ein: „Ganz ohne Unterstützung wäre diese Ausbildung für uns derzeit nicht möglich.“ Für BMW am Standort Leipzig ist Vielfalt nicht nur eine Marketing-Strategie, sie wird aktiv gelebt. „Wir stehen hinter dieser kooperativen Ausbildung und natürlich hinter unseren gehörlosen Azubis. Ihre Mitarbeit wirkt sich positiv auf die gesamte Belegschaft aus und wir gewinnen zudem als Unternehmen wertvolle Fachkräfte“, fasst Wottgen zusammen. Aber der Paragrafen-Dschungel bei Reha-Fällen sei kompliziert. Dafür brauche BMW Leipzig das Berufsbildungswerk als Partner.
Wenn es kompliziert wird, ist vor allem Case-Manager Tom Lathan vor Ort zur Stelle, um die Azubis des Berufsbildungswerks und ihre Ausbilder bei BMW zu beraten und nach Lösungen zu suchen. „Manchmal bin ich mehrmals in der Woche hier“, berichtet Lathan, der in der Abteilung Förderung und Vermittlung des BBW Leipzig noch viele weitere Auszubildende vor Ort in den Betrieben unterstützt. Das Berufsbildungswerk sieht er – genau wie die Azubis – eher selten.
Aktuell sind von den insgesamt 129 Auszubildenden bei BMW neben Gillian Wacht noch drei weitere über das Berufsbildungswerk Leipzig im Werk. Zwei haben bereits seit Beginn der Kooperation in 2014 erfolgreich ausgelernt. Einer davon ist Michael Rumancev. Nach seiner Ausbildung zum Fachpraktiker Zerspanungsmechanik, Fachrichtung Drehen, hat er sofort einen Arbeitsvertrag bekommen. Heute ist er in der Lackiererei beschäftigt und verantwortlich für die Endkontrolle der lackierten Karosserien. Dabei sieht er noch so kleine Fehler, die viele seiner Kolleginnen und Kollegen oftmals übersehen. „Die Schule war für mich schwierig, da musste ich ganz schön kämpfen. Die Praxis liegt mir, das ist meine Stärke“, sagt der leidenschaftliche Läufer, der demnächst für den Deutschen Gehörlosensportverband bei den Weltmeisterschaften in Estland im Sprint und in der Staffel antreten wird.
Zur Berufsschule müssen die Azubis bis nach Essen fahren. Dort findet der theoretische Unterricht im Block statt. „Sechs Wochen weg von zu Hause, Familie und Freunden – da kommen viele immer wieder an ihre Grenzen“, berichtet Case-Manager Lathan. Die schulischen Anteile der Ausbildung werden aktuell nicht an der Berufsschule des BBW Leipzig abgebildet. Essen ermöglicht als einzige Schule bundesweit einen für Hörgeschädigte barrierefreien Unterricht. „Das ist in Zeiten der Inklusion nicht mehr zeitgemäß“, ist Jane Möckel von der Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Sachsen, überzeugt.
Eine weitere Hürde für hörgeschädigte Menschen ist, dass die Kosten für Gebärdensprachdolmetscher nur für die Erstausbildung übernommen werden. Jimmy Grunst hatte erst Holzbearbeiter im Berufsbildungswerk Leipzig gelernt und macht nun eine Vollausbildung zum Fertigungsmechaniker. Einen Dolmetscher bekommt er jetzt nicht mehr gestellt, den gibt es nur bei der ersten Ausbildung. Die Beraterin der Regionaldirektion kennt solche Fälle und will prüfen, ob und wie solche Lücken geschlossen werden können. Claudia Reif von der BA-Zentrale betont: „Lebenslanges Lernen muss auch inklusiv möglich sein“.
Professionelle Dolmetscher kommen in der Ausbildung vor allem dann zum Einsatz, wenn montags zum Wochenstart die Teamberatung ansteht, eine Sicherheitsunterweisung nötig ist oder eine Betriebsversammlung stattfindet. Ausbilder Enrico Horn und Roy Grambow kommen aber im Alltag gut ohne Dolmetscher zurecht. Sie haben die Deutsche Gebärdensprache gelernt oder sind gerade dabei. Dabei lernen sie täglich von den Azubis: Am Tag des Besuchs war die Gebärde des Tages „Wir müssen alles wieder sauber machen“ – die lernen alle Mitarbeiter und erweitern so stetig ihren Wortschatz.
Was so einfach und erfolgreich klingt und aussieht, hatte einen langen und mühsamen Vorlauf. „Die Finanzierung des Modells ist nur möglich, weil wir als BBW unsere Unterstützung über das Persönliche Budget der Auszubildenden leisten. Denn ihren Arbeitsvertrag schließen die Jugendlichen mit BMW“, berichtet Tobias Schmidt. Der Vorsitzende der BAG BBW stellt fest: „Der Support des BBW ist in dieser Kooperation der entscheidende Erfolgsfaktor. Und das obwohl BMW als großes Unternehmen noch mehr Möglichkeiten als kleine und mittlere Betriebe hat. Wenn sich keiner persönlich und zeitnah kümmert, werden solche Ausbildungsversuche sehr oft und vorzeitig abgebrochen. Das ist eine Katastrophe, für beide Seiten“, so Schmidt. „Passgenaue und individuelle Unterstützungen sind nötig, um junge Menschen gut und nachhaltig auf dem ersten Arbeitsmarkt zu platzieren. Das können Berufsbildungswerke wirklich gut.“